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Junger Westen

„Die Gruppe stellte in einem Hotelsaal in Recklinghausen aus, 31 Bildhauer und Maler waren beteiligt. Die Stadt lud nach der Ausstellungseröffnung und aus Anlass der Vereinsgründung zu einem kräftigen Erbseneintopf ein (das war damals eine unglaubliche Aufmerksamkeit) und stiftete zudem noch einen Kunstpreis von 1000 DM, der fortan jährlich an junge deutsche Künstler vergeben werden sollte.“
Thomas Grochowiak, Maler und 2. Leiter der Kunsthalle Recklinghausen ab 1954, anlässlich der Ausstellung des jungen westen vom 4. September bis 3. Oktober 1948

Kein RuhrKunstMuseum, keine Revier-Historie nach '45 kommen drum rum. Der junge westen, seine Künstler, sein Gründungsmythos schrieben Kunstgeschichte. Eine besondere noch dazu. Wo sonst in Trümmerdeutschland wurden Starkstrommast und Fördermaschinist so einträchtig neben Motiven der Abstraktion gemalt? Den RuhrKunstMuseen ist dies ein einzigartiger Fundus revierspezifischer Kunstgeschichte.
 

Die Moderne aus dem Ruhrgebiet

Das Phänomenale am jungen westen: Er trat mit gleich dreifacher Wirkungsmacht auf. Als 1947 in Recklinghausen gegründete Künstlerinteressengemeinschaft schrieb er sich nachhaltig der Ruhr-Kultur ein. Als künstlerischer Aufbruch zwischen Kontinuität und Neubeginn trieb er die Moderne voran, half Bewusstsein schärfen für eine "von jeder staatlichen Bevormundung befreite Kunst" (Adolf Grimme, 1946). Und nicht zuletzt ist der junge westen bis heute Namensgeber eines renommierten Nachwuchs-Förderpreises, der in bester europäischer Tradition steht: für kulturellen Aufbau, für Geschichtsvermittlung und Wirkungsgeschichte, für Erinnerung und Reaktualisierung.

 

Das Revier und sein junger westen

Was also wäre der Westen ohne seinen jungen westen? Ganz klar, dass die RuhrKunstMuseen sich zum 70. Gründungsjubiläum 2017 Besonderes einfallen ließen. Gleich mehrere rückblickende Ausstellungen zur Hommage an den jungen westen, zur erhellenden Neukontextualisierung wurden gestemmt. Sie erinnerten daran, was sich 1947 auf Einladung des Kunsthistorikers und späteren ersten Direktors der Kunsthalle Recklinghausen, Franz Große-Perdekamp, in der, mangels Angebot, leeren Lebensmitteletage des Kaufhauses Althoff am Recklinghäuser Markt zu einer allerersten, heute legendären Kunstausstellung im kriegszerstörten Revier versammelt fand. Denn vor allem eins hatte diese frühe Schau proklamiert: Statt sich zu verfürchten, wagte man hoffnungsfrohen Neubeginn auf der Grundlage eines ausdrücklichen Bekenntnisses zu Freiheit und Demokratie nach Nazi-Diktatur, Holocaust und Kriegsgrauen. Es sollte die Initialzündung für die Gründung der impulsgebenden Künstlergruppe junger westen 1947 sein.

 

Alles auf Anfang

Die Gründung des jungen westen wurde im Februar 1948 von Franz Große-Perdekamp auf den 5. September 1947 – "anlässlich der Eröffnung der Ausstellung junger Künstler im Althoff-Haus" – festgelegt. Von einer verbrieften Auflösung des jungen westen dagegen ist nichts bekannt. Bis etwa 1962 war die wichtige Künstlergruppe aktiv. Gustav Deppe, Thomas Grochowiak, Ernst Hermanns, Emil Schumacher, Heinrich Siepmann und Hans Werdehausen stellten die Gründungsmitglieder. Zusammen mit dem 1948 von der Stadt Recklinghausen gestifteten, nach der Künstlergruppe benannten Kunstpreis gibt der junge westen eine bedeutende Quelle deutscher Kunst nach '45.

 

Verschiedene Perspektiven

Während das Märkische Museum Witten und die Kunsthalle Recklinghausen die Künstlergruppe in zwei Überblicksschauen in ihrer Gänze präsentierten, widmete sich das Museum DKM in Duisburg dem Schaffen von Ernst Hermanns. Seine plastischen Werken wurden dabei Arbeiten von weiteren Preisträgern des Kunstpreis junger westen gegenübergestellt.
Das Kunstmuseum Gelsenkirchen zeigte ausschließlich Arbeiten auf Papier. Neben Grafiken und Lithographien von Deppe, Grochowiak und Co. waren dort auch Zeichnungen, Collagen und Radierungen von Zeitgenossen wie Hubert Berke, K. O. Götz oder K. R. H. Sonderborg zu sehen.
Gleich zwei Ausstellungen beleuchteten in Bochum die Gruppe. Das Kunstmuseum Bochum führte eindrucksvoll vor Augen, wie sich die künstlerischen Impulse aus Recklinghausen nicht nur international sondern auch direkt in der Bochumer Kunstszene manifestierten. Das Campusmuseum der Ruhr-Universität Bochum hingegen befasste sich mit der besonderen Beziehung zwischen dem Kunstkritiker und Sammler Albert Schulze Vellinghausen und der Künstlergruppe.
Im Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr stand Heinrich Siepmann im Fokus. Die dort gezeigten Werke illustrierten den Weg zur Abstraktion des 2002 in Mülheim verstorbenen Malers.
Abgerundet wurde der Ausstellungsreigen durch moderierte Gespräche und Vorträge sowie Führungen zur Kunst im öffentlichen Raum. Denn auch hier hat der junge westen seine Spuren hinterlassen – etwa im Mülheimer Rathaus (Spiralnebel von Siepmann), dem Festspielhaus in Recklinghausen (Aufbruch der Elemente von Werdehausen) oder direkt in der Gelsenkirchener Innenstadt (Reliefwand von Hermanns).

 

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