Essen
Die Plastik ist Teil eines Skulpturenensembles mit Werken von Künstlern wie Gloria Friedmann, Ulrich Rückriem, Lutz Fritsch, Ansgar Nierhoff und anderen, die eigens für den markanten Essener Moltkeplatz mit seinen mächtigen Platanen entstanden sind. Die Prägnanz des künstlerischen Denkens des Bochumer Künstlers Friedrich Gräsel erkennen wir daran, dass er gerne die Koordinaten eines Werks angibt, die für Hannover Tor lauten: »51 26 29 64N/700 12,51 E«. Die Arbeit auf dem Moltkeplatz besteht aus Edelstahl, verschweißten Rohrsegmenten, sie ist farbig geglüht. Alle diese Elemente sind im Ruhrgebiet, der Region von Kohle und Stahl, bekannt. Der Titel bezieht sich auf die letzte Zeche in Bochum (Bochum-Hordel). Die Zeche Hannover war berühmt durch ihre eindrucksvolle Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts. Seit 1995 ist sie Teil des Westfälischen Industriemuseums.
Hannover Tor entstand fünf Jahre nach Schließung der Zeche. Die Plastik wirkt wie eine Verbindung, die unter die Erde führt, wie ein Tor zwischen unten und oben. Die Industrieelemente, das Stahlrohr, stützen diese Gedanken. Zugleich ist die Plastik ein Tor mit zwei Seiten, sie beschreibt ein »Davor« und ein »Dahinter«. Sie ist janusköpfig: Ein großes, festes Tor wird von einem kleineren gekippten begleitet. Wir können dieses Duo als Sinnbild für das Leben und Sterben der Zeche Hannover verstehen. Zu Beginn stieß die Arbeit keineswegs auf Begeisterung. Sie wurde mutwillig zerstört und 1981 rekonstruiert. Durch die industriellen Elemente war dies leicht möglich. Ein Stahlarbeiter konnte nach den Vorgaben des Künstlers die Plastik erstellen. Am 31. Mai 2008 besuchte der Bochumer Friedrich Gräsel das Tor. Er erklärte den Nutzern des Tores seine Ideen: »Meine Tore sind Wegemarken. Manchmal kennzeichnen sie imaginäre Wege, die zu ihnen oder von ihnen wegführen […] Das Hannover Tor kann man durchschreiten und umgehen. Man erfährt so schrittweise die Innenseiten und die Außenseiten des Torraumes […] Dieses Spiel zwischen Gehen und Schauen macht den Betrachter zu einem Beobachter-Akteur und eröffnet ihm schrittweise das Zusammenspiel von Formen und die Bedeutung des Ganzen […] Der Wegraum des Tores verwandelt sich zu einem Verweilraum und einem Ort der Kommunikation.« Gräsel hat als erster Künstler die Bedeutung industriell gefertigter Formen wie Stahlrohren oder Rohren aus keramischen Werkstoffen für die moderne Skulptur erkannt. Er nutzt sie vielfältig in seinen freien Plastiken, wie dem Hannover Tor, oder auch im angewandten Bereich, wenn seine plastischen Elemente sich in den Auslässen moderner Bürogebäude zum Beispiel bei Klimaanlagen zeigen, und eine technische Funktion zurückgewonnen haben. Gräsel betont die Formen, um sie der technischen Entfremdung zu entziehen. Die Rationalität der Technikwelt verbindet Gräsel mit der Schönheit und Selbstständigkeit eines Kunstwerks. Er sucht ein modernes Verständnis von Form und Inhalt, ohne die Kunst in den speziellen Raum des Museums zu verbannen. Was im Museum nicht möglich ist, bezieht er als Aktivität der Tornutzer von Beginn an mit ein. Gräsels Kunst kann man anfassen, sich gegen sie lehnen, mit ihr spielen, unter ihr sitzen, von ihr Fotos von sich und seinen Lieben machen, die Plastik als einen sozialen Ort verstehen, der zum Verweilen und Nachdenken einlädt. Hannover Tor garantiert dem Platz ein Gedächtnis und eine kommunikative Aufgabe, füllt die Grünfläche mit dem Sinn des städtischen Lebens.
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